Überraschender archäologischer
Fund in Mladá Boleslav

  • Die diesjährige Jahreskonferenz der Johannes-Mathesius-Gesellschaft - Evangelische Sudetendeutsche e.V. steht ganz im Zeichen des Jubiläums der Brüderunität. Vor 550 Jahren, gegen Ende 1457, möglicherweise im Frühjahr des darauffolgenden Jahres wurde im ostböhmischen Dorf Kunvald die erste Gemeinde der Brüderunität gegründet.

    Die zentrale Festveranstaltung zum Jubiläum der Brüderunität in Tschechien findet in diesem Jahr in Mladá Boleslav (Jungbunzlau) statt. Hier sorgte im vergangenen Jahr ein überraschender archäologischer Fund für Aufsehen. Bei Bauarbeiten für die vom Volkswagenkonzern neugegründete private Universität entdeckten polnische Bauarbeiter ein geheimes Archiv der Brüder aus dem 17. Jahrhundert.

    Nur für einige Tage stellte das Museum von Mladá Boleslav (Jungbunzlau) im Januar 2007 die wertvollen Schriftstücke und Dokumente aus dem Archiv des Bischofs der Brüderunität Matouš Konečný aus. Wie durch ein Wunder hatten sie im August 2006 polnische Bauarbeiter entdeckt. Die Ausstellung des Museums präsentierte Anfang des Jahres die ersten restaurierten Dokumente. Zur Eröffnung kamen auch zahlreiche Neugierige aus Turnov, Nová Paka und sogar aus Prag. 
    Die Dokumente waren in zwei hölzernen Truhen verborgen, die die Bauarbeiter nur einige Zentimeter unter dem Fußboden in den Räumen des ehemaligen Klosters "Auf dem Karmel" im Zentrum von Mladá Boleslav entdeckten. Hier hatte sie Bischof Matouš Konečný versteckt, bevor er im Dezember 1620 eilig aus der Stadt fliehen mußte. Denn nach der Schlacht am Weißen Berg war die Kirche der Brüderunität auf einmal verboten. Die Stadt wurde von Truppen der siegreichen katholischen Partei besetzt, und für die Leitung der Brüderunität war Mladá Boleslav nicht mehr sicher.
     Der Senior der Kirche Matouš Konečný versteckte verschiedene Unterlagen, Aufzeichnungen mit vertraulichen Berichten, zahlreiche persönliche Briefe von den Pfarrern der Unität, Adligen, aber auch von Repräsentanten protestantischer Kirchen in anderen Teilen Europas. Besonders interessant sind Briefe und Abrechnungen von Studenten, die die Kirche zum Studium ins Ausland schickte. Gefunden wurden auch Unitätsregister, also Aufstellungen über Mitglieder und Kircheneigentum. Insgesamt wurden an die 600 Schriftstücke gerettet. "Wir haben das bis heute noch nicht alles gelesen, das ist wahnsinnig viel," erklärt der Museumsmitarbeiter Pavel Sosnovec. "Etwa 90 Prozent der Schriftstücke konnten noch nicht klar eingeordnet werden, bei ihnen haben wir bisher nur Vermutungen. Klar ist nur, das die Erforschung Jahre in Anspruch nehmen wird."
    Die Urkunden sind etwa zur Hälfte in tschechischer Sprache und zur Hälfte in Latein abgefaßt. Die Tinte wurde aus Gallapfel gewonnen. Nicht wenige gebildete Adlige schrieben in einem Gemisch aus beiden Sprachen. Zum Beispiel Václav Budovec schrieb tschechisch, baute aber immer wieder lateinische Sätze in seine Texte ein. Lateinisch war die Sprache der Gebildeten, heute etwa vergleichbar mit dem Gebrauch von Fremdwörtern oder englischsprachigen Ausdrücken.

    Matouš Konečný wurde 1569, wahrscheinlich in Strážnice geboren. 1609 kam er nach Boleslav und übernahm die Leitung der örtlichen Gemeinde. Als zweiter Pfarrer half ihm Jan Brož. Bischof - im Sprachgebrauch der Unität: Senior - wurde er wohl im Oktober 1609, nach anderen Angaben erst 1614. Die Unität hatte gleichzeitig mehrere Bischöfe, in der Regel vier. Als Senior war Konečný unter anderem für die tschechischen Gemeinden der Unität zuständig. Er starb zwei Jahre nach seiner Flucht aus Mladá Boleslav in Brandýs nad Orlicí. Über sein Archiv konnte er jedoch niemanden mehr informieren.

    In der Zeit von Bischof Konečný zu Beginn des 17. Jahrhunderts war Mladá Boleslav eine verhältnismäßig große Stadt. Sie hatte einige Tausend Einwohner, zu ihnen zählten eine nicht sehr große deutsche Minderheit und auch Juden. Die überwiegende Mehrheit gehörte zur utraquistischen Kirche, also zum Bekenntnis des Kelches. Die Brüderunität hatte in Boleslav über 500 Mitglieder. Katholiken durften hier - nach den Privillegien, die die Stadt schon seit dem Ende der Hussitenkriege besaß - nicht leben. Im Vergleich mit anderen Teilen von Böhmen war in der Region von Mladá Boleslav das brüderische Bekenntnis ausgesprochen stark verbreitet. Unterhalb des Isergebirges stand es unter dem Schutz einiger ansässiger Adelsgeschlechter, die die Aktivitäten der Kirche duldeten oder selbst sogar zu ihren Mitgliedern gehörten. Auch in den meisten Dörfern lebten größere oder kleinere Gruppen von Brüdern und Schwestern der Unität. In einigen Dörfern hielten brüderische Prediger regelmäßig Gottesdienste.

     Pavel Sosnovec weist die Besucher auf ein kleines Tagebuch hin: "Dies ist einer der großen Schätze. In diesem Büchlein sind die Dienste der brüderischen Geistlichen von Boleslav von 1600 bis 1609 aufgezeichnet und einzeln aufgeschlüsselt. Hier ist festgehalten, wer an welchem Sonntag und wo Gottesdienst gehalten hat, zum Beispiel auf dem Karmel, in Stakory, in Vlčí Pole, in Března, im Kloster Hradiště oder in Kopidlno. Auf Grund der Funde können wir nun fast genau rekonstruieren, in welchem Umfang und auf welche Weise die Brüderunität in dieser Zeit in den einzelnen Regionen und Herrschaften wirksam war. Bislang waren schriftliche Quellen über das Gemeindeleben der Brüder in der Zeit vor dem Weißen Berg eher spärlich. Auf einmal zeigt sich alles in völlig neuem Licht" schließt Pavel Sosnovec seine Bewertung ab.
    Nach dem Ende der Ausstellung sind die Dokumente wieder in die sicheren Depositare des Museums zurückgekehrt. Einige andere Schriftstücke kommen zuerst zur fachgerechten Restaurierung zu Bohumil Šimeček nach Kyjov, damit von ihnen schließlich digitale Kopien für Wissenschaftler und Studenten angefertigt werden können.

    Jiří Mohaupt

    (Quelle: RajNet.cz, Übersetzung: Ch. Lange)