Die Entstehung der Toleranzgemeinden Prag

Die Entstehung der Toleranzgemeinden in Prag ist ein gutes Beispiel für die Zusammenarbeit zwischen deutschen und tschechischen Evangelischen in Böhmen und Mähren.

Die evangelischen Toleranzgemeinden des augsburgischen und des helvetischen Bekenntnisses konstituierten sich überall in Böhmen und Mähren auf ganz ähnliche Weise. Das Verfahren dafür war klar festgelegt. Vor allem mußte erst einmal die Information über die Existenz des Toleranzpatents zu einer größeren oder kleineren Gemeinschaft der bisherigen "Geheimprotestanten" gelangen. Daraufhin verlangten die Protestanten von den zuständigen Behörden eine Ausfertigung des Toleranzpatents und ließen sich als Angehörige des evangelischen Glaubens registrieren. Nach der Einzelprüfung im Rahmen einer persönlichen Vorladung, der sogenannten "feierlichen Anmeldung", forderte man sie auf - falls die Mindestzahl von Mitgliedern erreicht wurde - nachzuweisen, daß sie den Lohn für den künftigen Seelsorger aufbringen können, und ein Bethaus zu bauen. Erst dann wurde der Pastor, der sich mit einem sogenannten Attestat ausweisen mußte, amtlich bestätigt, und mit seinem Dienstantritt hatte sich die Toleranzgemeinde offiziell konstituiert.

Von diesem gewöhnlichen Verlauf weichen nur zwei Toleranzgemeinden ab: die beiden Stadtgemeinden in Prag und in Brünn. In beiden Fällen handelte es sich um Patronatsgemeinden, weswegen dort die finanziellen Beiträge der Mitglieder nur eine untergeordnete Rolle spielten und auch die Erfassung der Mitglieder nicht eine so große Bedeutung wie an anderen Orten hatte.

In Brünn war dies ganz offensichtlich. Es handelt sich um eine Manufakturgemeinde, heute würde man vielleicht von einer Unternehmensgemeinde sprechen. Ihr Patron war J. L. von Köffiler, Inhaber einer Tuchfabrik. Er selbst war zwar Katholik, aber durch Vermittlung des evangelischen Fabrikdirektors J. B. Seitler bat er am 13. 4. 1782 den Kaiser um Erlaubnis zum Bau eines lutherischen Bethauses und zur Berufung eines Pfarrers. Sein Gesuch begründete er ausschließlich mit wirtschaftlichen Erwägungen. Dabei hob er besonders er die Möglichkeit des Zuzugs weiterer für die Produktion notwendiger Fachleute aus dem Ausland und die Belebung des Handels hervor. Das Bethaus und eine Spendensammlung zu seiner Finanzierung im Ausland wurde am 18. 7. 1782 genehmigt, und schon im Dezember wurde der erste Pfarrer M. Victor Heinrich Riecke aus Stuttgart in seinem Amt bestätigt.

Die Situation in Prag war wesentlich komplizierter. Auch hier entstand eine Gemeinde ohne die Vorladung der Mitglieder zur "feierlichen Anmeldung". In diesem Fall ging es jedoch um eine Militärgemeinde, an deren Spitze ein hoher Offizier und Günstling des Kaisers Josef II., Graf Dagobert Sigmund von Wurmser stand. Dieser stammte ursprünglich aus dem Elsaß und finanzierte die Gemeinde als Patron selbst. Unter den Mitgliedern waren nicht nur Soldaten, sondern auch deutsche Kaufleute, Handwerker und Beamte. Die Gottesdienste fanden zunächste in General von Wurmsers Palast auf der Kleinseite statt. Der erste Pfarrer war schon seit September 1782 Christian Georg Schmidt aus Erlangen.

Unabhängig von dieser Militärgemeinde versuchten sich außerdem in Prag auf die übliche Weise einige tschechische Evangelische zu registrieren, die für die Gründung einer eigenen Gemeinde erforderliche Mindestzahl erreichten sie jedoch nicht. Dieses Problem versuchten sie zunächst aus eigener Kraft zu lösen, indem sie die Evangelischen in der Umgebung von Prag um ihre Hilfe bei der Registrierung der Gemeinde baten. Diese waren einverstanden, obwohl viele von ihnen sich anfangs für das reformierte Bekenntnis entschieden hatten und die Prager tschechische Gemeinde ebenso wie die Militärgemeinde lutherisch werden sollte. Doch auch so kam trotz aller Anstrengungen nicht die erforderliche Zahl von 500 Personen oder 100 Familien zusammen. In dieser Situation sprang die deutsche Militärgemeinde ein, indem sie die fehlenden Mitglieder aus dem Kreis der in Prag lebenden deutschen Zivilisten bereitstellte. Diese "außerordentlichen Mitglieder" traten natürlich nur formell in die tschechische Toleranzgemeinde ein, bezahlten in der Regel keine Mitgliedsbeiträge, und ihre Namen tauchen auf keinen Verzeichnissen, Rechnungen und auch nicht in den Kirchenbüchern der tschechischen lutherischen Gemeinde auf. Diese konnte jedoch erst dank deren uneigennütziger Hilfe amtlich gegründet werden. Der Antrag auf ein Bethaus und einen Pfarrer wurde im November 1782 nach Wien gesandt, und schon zur Jahreswende traf der erste Pfarrer, Matěj Markovic aus Oberungarn (Slowakei) in Prag ein.

PhDr. Eva Melmuková, Beitrag auf dem tschechisch-deutschen Jugendseminar 'Die Beziehungen zwischen Tschechen und Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien während der Toleranzzeit (1781-1784)' vom 15. bis zum 22. Juli 2005 in Velká Lhota.